Warum gibt es „Menschen in Köln“?

Warum gibt es den Blog „Menschen in Köln“?

Gute Frage. Denn fast hätte es ihn nicht gegeben. „Gute Idee, aber…“ – So begannen die meisten Reaktionen, als ich im Januar 2017 Leuten erzählte, dass ich einen Blog über Menschen in Köln starten will. „Gute Idee, aber gibt es so etwas nicht schon?“ Antwort: Nein, genau so etwas gibt es noch nicht. „Gute Idee, aber glaubst du wirklich, da machen Leute mit?“ Antwort: Abwarten! „Gute Idee, aber hast du überhaupt Zeit dafür?“ Guter Punkt! (Was ich sonst so mache könnt ihr in der Vorstellung des Teams lesen.) Aber für Sachen, die einem wirklich wichtig sind, muss man sich Zeit nehmen. Und diese Idee ist mir wichtig.

Wie ich darauf gekommen bin? Erstens, ich habe eine Leidenschaft für Köln. Zweitens, ich habe eine Leidenschaft für den Blog „Humans of New York“ (HONY). Das Konzept: Ein Mann geht mit einer Kamera durch die Stadt, er bittet Menschen darum, sie fotografieren zu dürfen. Er bekommt nicht nur Bilder, sondern Geschichten. Er schreibt sie auf. Er teilt sie. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach einer der lesenswertesten und inspirierendsten Blogs, die es gibt. Trotzdem habe ich entschieden, einige Dinge anders zu machen. Aber dazu später mehr.

Warum ich finde, dass Köln diesen Blog verdient hat.

Weil ich manchmal denke: Wenn es Köln nicht gäbe, dann müsste man es erfinden. Aber wer, bitteschön, kann sich so etwas ausdenken? Hier leben 1.069.192 Menschen aus 182 Nationen. Das Durchschnittsalter liegt bei 41,9 Jahren. Köln ist also im besten Alter. Und noch eine gute Nachricht: Köln ist noch zu haben.  512.556 Einwohner sind Singles. 533.018 Menschen sind erwerbstätig, die Arbeitslosenquote liegt bei 8,8 %. 18.044 Menschen absolvieren eine Ausbildung, 97.364 sind an Universitäten und Fachhochschulen eingeschrieben. Jährlich kommen 3.447.209 Touristen. Sie bleiben aber nur kurz, nämlich durchschnittlich 1,7 Tage. Es gibt 454.429 zugelassene Pkw, 97 Eisdielen und 815 Kneipen.

Was ist daran so aufregend? Ein Erklärungsversuch, der mit einigen Klischees beginnt: Hier steht der Dom und hier fließt der Rhein. Der Rest ist überwiegend hässlich oder eine Baustelle. Trotzdem kann sich der Kölner an seiner Stadt und sich selbst berauschen. Dabei findet er sich enorm weltoffen und kann doch ziemlich engstirnig sein. Nicht nur im Karneval. Auch beim Geschäftemachen. Oder in der Fankurve. Über diesen Zustand gibt es jede Menge Lieder. Auf Kölsch. So heißt der Dialekt, so heißt das Bier. Es kommt in bemerkenswert kleinen Gläsern und schmeckt gewöhnungsbedürftig.

Welche Klischees stimmen und welche nicht?

Ja, die Kölner feiern gern. Die Katholiken sind die größte Glaubensgemeinschaft der Stadt. Da darf man sogar mit Gottes Segen über die Stränge schlagen. Aber Religion hin oder her: Was die multikulturelle Gesellschaft wirklich eint, ist der Glaube an das Kölsche Grundgesetz. Kurz zusammengefasst lautet es: Leben und leben lassen. Das geht so weit, dass der Grat zwischen Offenheit und Übergriffigkeit, zwischen Toleranz und Ignoranz manchmal ganz schön schmal wird.

Jedes Klischee enthält mindestens einen Funken Wahrheit. Aber Köln ist mehr als das. Es ist, wie jede Stadt, dynamisch und schwer zu fassen. Gleichzeitig ist Köln eben nicht wie jede andere Stadt. Es ist eine besonders emotionale Angelegenheit. Es wird geliebt, gehasst, belächelt. Das meiste davon hat Köln sich selbst zu verdanken. Es ist aktiv. Hier wird gemacht und hier wird manchmal auch gescheitert. Und das nicht erst seit gestern.

Warum der Dom doch noch fertig geworden ist

Im Jahr 19 vor Christus als römische Kolonie gegründet, ist Köln seit mehr als zwei Jahrtausenden ein Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt. Kulturelle Vielfalt gibt es hier schon ganz lange. 1164 kam der Dreikönigenschrein in die Stadt. Das Reliquiar gab den Anstoß zum Bau des heutigen Domes. 1248 wurde der Grundstein gelegt. Als die Kathedrale im 16. Jahrhundert immer noch nicht fertig war, wurde der Bau von der Kirche nicht weiter finanziert. Die Arbeiten ruhten.

Für Generationen von Menschen war der Anblick des Domes ohne seine beiden heute markanten Türme Alltag. Erst rund 300 Jahre später wurden die Arbeiten fortgesetzt. Und warum? Maßgeblich auf Initiative der Bürger. Sie sammelten Geld für das Bauvorhaben und die Arbeiten konnten weitergehen. Heute ist der Kölner Dom eine der weltweit größten und bedeutendsten gotischen Kathedralen und die beliebteste Touristenattraktion Deutschlands. Wenn das kein Happy End ist.

Im Zweiten Weltkrieg wurde Köln massiv zerstört und danach schnell wieder aufgebaut. Darum finden viele Menschen die Stadt hässlich. Ab 1955 kamen zahlreiche Gastarbeiter aus süd- und südosteuropäischen Ländern nach Köln, um die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften während des wirtschaftlichen Aufschwungs der jungen Bundesrepublik zu bedienen. Viele sind mit ihren Familien geblieben.

Was die Menschen in Köln besonders macht

Eine integrative Kraft ist das Brauchtum. Zusätzlich zum institutionalisierten Karneval hat sich ein alternativer Karneval entwickelt. Es gibt Karneval für Schwule und Lesben, für Karnevalsmuffel und für „Imis“ (Zugezogene). Die Kreativwirtschaft ist eine wichtige Branche geworden. Als Standortfaktor wird neben der Lage immer auch die offene und kommunikative Mentalität der Menschen genannt.

Die Stadt hat ihre Fehler und ihre Wunden: Der Einsturz des Stadtarchivs 2009, die Silvesternacht 2015 oder die Pannen bei der Sanierung von Opern- und Schauspielhaus. Aber der Kölner an sich macht einfach weiter. Oder einen Blog. In der Hauptrolle: Die Menschen in Köln.

Was dieser Blog nicht ist

Köln wird geliebt und gehasst. Ich glaube, für beides gibt es gute Gründe. Das Wort ausschließlich den Lokalpatrioten zu überlassen, finde ich langweilig. Ziel von „Menschen in Köln“ ist es einerseits, Menschen mit spannenden Geschichten zu Wort kommen zu lassen. Andererseits soll aber aus unterschiedlichsten Perspektiven – und gerne auch kritisch – auf die Stadt geblickt werden. Die Wahl der Gesprächspartner ist daher, anders als bei dem Vorbild „Humans of New York“, inzwischen nur noch selten dem Zufall überlassen. Meistens verabreden wir uns vorher zum Gespräch. Die Fotos werden aber unbedingt draußen gemacht – eben da, wo Köln besonders Köln ist.


Alexandra Feldhofer im Februar 2019

Statistische Daten beziehen sich auf das Jahr 2015. Quelle: Stadt Köln.