Andrea Braun (58) arbeitet in Nippes. Was genau sie macht, wofür sie demonstriert und was die gebürtige Hessin an Köln liebt, erzählt sie selbst:
„Du kannst machen, was du willst. Lass dich nicht beschränken. Ganz nach diesem Motto will das Handwerkerinnenhaus Köln e.V. Frauen und Mädchen in handwerklichen Berufen fördern. Das galt bei der Gründung 1989 und das gilt bis heute. Es hat sich seitdem zwar einiges verändert, aber noch nicht genug. Frauen im Handwerk sind ähnlich unterrepräsentiert wie Frauen in Führungsetagen. Vor allem in technisch-handwerklichen Berufen. Wenn sich Frauen frei für einen Beruf entscheiden, dann ist der Einstieg heute sicher oftmals leichter. Aber was weitergegeben wird, sind die Schranken im Kopf. Es geht darum, Rollenklischees aufzubrechen. Zu zeigen, dass nichts in Stein gemeißelt ist. Mädchen sollen frei auswählen aus einer großen Palette an Berufen.
Die Werkstatt ist ein toller Ort. Da wird gesägt, gehobelt, geschraubt, geschweißt. Du siehst sofort, was du geschafft hast und du musst im Team arbeiten. Wir bieten unter einem Dach Berufsorientierung, Intervention und Prävention von Schulverweigerung. Das Handwerkerinnenhaus ist ein außerschulischer Lernort. Schulverweigernde Mädchen sind manchmal schon lange nicht in der Schule gewesen. Allein, dass die es schaffen, hier regelmäßig hinzukommen ist ein großer Erfolg. Viele holen auch ihren Hauptschulabschluss nach. Die meisten gehen hier sichtbar stolz raus, das berührt mich jedes Mal.
Ich komme aus einem kleinen hessischen Dorf. In den Siebzigerjahren bin ich nach Darmstadt gegangen. Da war die Friedensbewegung ein großes Thema. Zudem waren es RAF-Zeiten, ein besonderes Klima. Ich war bei der ersten großen Friedensdemo in Bonn. Dann bin ich nach Hause gefahren und habe in Darmstadt geguckt, wo gibt es eine Friedensgruppe, der ich mich anschließen kann. Wir haben demonstriert, aber wir haben auch Aktionen gemacht. Zum Beispiel haben wir drei Wochen lang eine Kaserne beobachtet. Rund um die Uhr standen wir vor der Kaserne. Das war unsere „Bürgerbeobachtung Militär“. Am Tag der offenen Tür sind wir auch in Kasernen reingegangen und wollten demonstrieren. Wir sind natürlich sofort rausgetragen worden.
Irgendwann war absehbar, das findet kein Ende; Atomwaffen werden nicht abgeschafft, egal wie sehr wir für den Frieden demonstrieren. Ich stellte mir die Frage: Kann ich überhaupt etwas ändern? Sollte ich gewalttätig werden? Würde das etwas ändern? Oder auch nicht? Ich habe mich dann für den dritten Weg entschieden: Nicht mehr nur demonstrieren, aber auch keine Gewalt. Sondern gewaltfreie Aktionen. So etwas muss man richtig trainieren und sich darauf vorbereiten: Was kann passieren und wie verhalte ich mich dann? Welche Rechte habe ich? Wir sind dann zum Beispiel mit dem Fahrrad zu einem Militärlager gefahren, in dem Atomwaffen waren. Wir hatten ein Transparent und damit haben wir uns an einen Zaun gekettet. Eine richtige Blockade war das.
Die Volkszählung 1987 haben wir auch boykottiert, denn wir waren gegen diese Datensammlung. Also haben wir die Fragebögen auf einem Marktplatz aufgehangen. Nach dem Motto: Das sind unsere Bögen, aber wir füllen sie nicht aus. Das war an der Grenze, denn es war ja verpflichtend da mitzumachen. Also, ich stand oft vor der Frage, bis wohin gehe ich – und wo höre ich auf.
Bevor ich Schreinerin wurde, war ich Buchhalterin. Aber mir war dann klar: Ich mache etwas anderes. Nicht mehr mit dem Kopf, sondern mit den Händen. Ich habe in verschiedenen Werkstätten gearbeitet, Gartenteiche angelegt und Hütten auf dem Weihnachtsmarkt gebaut. Es war oft Improvisationstalent gefragt. Das liegt mir.
Im Handwerkerinnenhaus mache ich jetzt schwerpunktmäßig wieder die Buchhaltung. Vor Frauen, die in meinem Alter noch im Handwerk arbeiten, habe ich Hochachtung. Ich kann das nicht mehr in dem Umfang. Zahlen machen auch Freude. Rechnungen und Anträge geben unheimlich viel Einblick und es ist eine große Verantwortung damit verbunden.
Mein großes Hobby ist das Schnorcheln in Asien, in Ägypten und in der Karibik. Diese Farben- und Formenvielfalt unter Wasser, das ist einfach fantastisch. In Sulawesi (Indonesien) zum Beispiel gibt es die größte Artenvielfalt weltweit in Riffen. Das ist bunt, bunt, bunt. Es gibt durch die Korallen ganz vielfältige Strukturen und die Fische sind völlig jeck. Und sie haben sehr unterschiedliche Verhaltensweisen. Ich könnte tagelang darüber erzählen. Ein Riff ist eine Lebensgemeinschaft, ein eigenes System. Ich möchte, dass Menschen begreifen, was da passiert. Es ist letztendlich wie eine Gesellschaft.
Ich bin zwar keine Kölnerin, aber ich kann sagen, dass ich schon oft stolz auf Köln war. Zum Beispiel 2008 bei den Demonstrationen gegen die Anti-Islamisierungs-Konferenz. Dieses europaweite Treffen der Rechten wurde mehr oder weniger verhindert, einfach durch zivilen Ungehorsam. Erst saßen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen stundenlang auf einem Schiff fest, dann haben die Taxis sie nicht mitgenommen und der komplette Neumarkt war von Menschen abgeriegelt – keine Kundgebung möglich. Das war völlig unabgesprochen. Das war etwas sehr besonderes.
Viele Jahre lang habe ich selbst nicht mehr demonstriert. Aber in den letzten Monaten musste ich wieder, weil ich den Rechtsruck wirklich schlimm finde.“
Weitere Informationen: www.handwerkerinnenhaus.org