„Angela Merkel wollte meine Visitenkarte haben“
Wie eine Frau aus Sülz sich für den vielleicht wichtigsten Beruf der Welt einsetzt
Sonja Liggett-Igelmund ist Hebamme, zweifache Mutter und engagiert sich politisch. Mit ihrer Familie lebt sie in Sülz.
„Woher ich die Energie habe für das, was ich tue? Ich erwarte einfach von jeder Generation, dass sie es besser macht, als die davor. Das treibt mich an.
Ich wurde 1974 im Weyertal geboren. Meine Großmutter mütterlicherseits kam aus Rotterdam und mein Vater ist aus England. Er kam nach Köln, um bei Ford zu arbeiten. Durch ihn habe ich drei Halbgeschwister und war auf vielen englischen Hochzeiten und Taufen. Ich finde wunderschön, nicht einfach nur Deutsch zu sein. Deswegen trage ich ja auch den Doppelnamen.
Als meine Eltern sich kennenlernten, war der Krieg noch nicht so lange her. Meine deutsche Mutter hat einen Engländer geheiratet, noch dazu einen, der schon mal verheiratet war. Das war nicht immer einfach für sie als Eheleute. Noch dazu in Lindenthal, wo sie wohnten und was meiner Meinung nach einfach schon immer spießig war.
Mich interessiert sehr, was der Krieg kaputt gemacht hat in der Stadt und bei den Menschen. Ich habe meine Großeltern immer ausgefragt. Sie haben einiges erzählt, aber nicht alles. Wie mein Großvater nach Bombenangriffen durch die Stadt gelaufen ist und unter den Toten seine Angehörigen gesucht hat, darüber hat er nicht gesprochen. Das habe ich in seinem Tagebuch gelesen.
Warum Gefühle in der Geburtshilfe lange nicht erlaubt waren
Ist ja klar, dass meine Großeltern nach dem Krieg versucht haben, ein geordnetes Leben zu führen. Über Gefühle haben sie nicht gesprochen und sie auch nicht gezeigt. Das ist ja typisch für die Kriegsgeneration und ich finde, daran trägt die ganze Gesellschaft noch bis heute.
Ich zum Beispiel, Jahrgang 1974, sehe mich als „Kriegsenkel“. Was das bedeutet? Zum Beispiel, dass diese emotions-verneinende Generation unter anderem in der Geburtshilfe gearbeitet hat, als ich geboren wurde. Damals wurden Kinder ihren Müttern erstmal für zwei Wochen weggenommen. Morgens konnten die Mütter durch eine Glasscheibe zusehen, wie fremde Menschen ihre Babies gebadet haben. Stillen galt als unmodern, es gab ja Milchpulver. Man hat gedacht, das sei alles richtig – aber es war völlig irre. Das hat doch nichts mit Nähe zu tun. Es hat sich schon viel verbessert in letzter Zeit, aber im Gesundheitswesen passiert Erneuerung wirklich nur im Schneckentempo.
„Die Lobby für Hebammen ist schlecht – auch, weil Frauen sich das gefallen lassen“
Selbst Hebamme werden wollte ich, seit ich 19 Jahre alt bin. Ich bin kurz nach dem Abitur auf die Hebammenschule in Wuppertal gegangen und das war einfach perfekt für mich. Danach habe ich in verschiedenen Krankenhäusern gearbeitet, acht Jahre freiberuflich und jetzt wieder angestellt. Leider ist der Beruf der Hebamme in den letzten zehn Jahren zunehmend unattraktiver geworden und das macht es meiner Meinung nach für Frauen wieder schwieriger, ein Kind zu kriegen. Das alles hat für mich viel mit fehlender Gleichberechtigung zu tun. Es ist ja ein typischer Frauenberuf. Dass die schlechter bezahlt werden, weiß man ja. Kommt hinzu: Es ist ein Frauenberuf, der anderen Frauen hilft. Die Lobby dafür ist dementsprechend schlecht. Und das nicht nur, weil immer noch überall Männerdomänen vorherrschen, sondern auch, weil Frauen sich das gefallen lassen und oft nicht genug zusammenhalten.
Ich versuche, eine gute Netzwerkerin zu sein. Mit anderen Hebammen bin ich dieses Jahr nach Braunschweig zum Treffen der Frauen-Union der CDU gefahren. Ich wusste, am zweiten Tag würde ein Antrag gestellt zur Sicherung der Hebammen-Versorgung in Deutschland. Ich wollte dazu irgendwas machen, nur nicht demonstrieren. Das ist mir zu langweilig. Wir haben dann überall mit Kreide das Venussymbol und ein Ausrufezeichen hingemalt und auch Kreide-Päckchen verschenkt, um auf unser Anliegen aufmerksam zu machen.
Wie es Sonja gelungen ist, die Bundeskanzlerin auf die Situation der Hebammen anzusprechen
Es ist mir dann sogar gelungen, Angela Merkel zu treffen und anzusprechen. Ich habe ihr gesagt: „Das letzte Maßnahmenpaket des Gesundheitsministers hat überhaupt nicht geholfen.“ Sie hat mir zugehört und wollte meine Visitenkarte haben und sie war beeindruckt, dass ich extra aus Köln gekommen bin.
Das Thema Geburtshilfe sollte schon an Schulen besprochen werden. Genau dann, wenn auch gelernt wird: Wie funktioniert Befruchtung? Wie vererben sich Merkmale? Wie schützt man sich vor HIV? Ich verstehe nicht, dass es kein Thema ist, was passiert, wenn das Kind geboren ist. Von dieser Aufklärung würde die ganze Gesellschaft profitieren.
Es ist verrückt, aber ich musste erst nach Afrika gehen, um mich hier in Deutschland mehr zu engagieren. Im Ort Havé in Ghana habe ich geholfen, die Versorgung von Schwangeren und jungen Müttern zu verbessern. Das erste Mal war ich mit einem deutschen Fernseh-Team dort. Danach habe ich weitergemacht. Mit vielen Helfern zusammen sammle ich Spenden und bin mindestens einmal im Jahr dort. Inzwischen haben wir unter anderem auch eine Schule gebaut. Das hat die deutschen Medien immer mal wieder interessiert und irgendwann wurde ich dann auch zu meiner Meinung zur Hebammen-Situation in Deutschland gefragt. Vorher habe ich mich darüber nur still geärgert oder habe mal an einer Demo teilgenommen. Aber dann hat man mir zugehört.“
Hier geht es zu dem Blog von Sonja Liggett-Igelmund, in dem sie von ihrer Arbeit in Havé berichtet.
Mehr zu den Initiativen für Hebammen ist in den Sozialen Medien unter den Hashtags #zurückindiekreidezeit und
#aufdenTischhauenfürHebammen zu finden.